Wenn wir in die Bilder von Karl-Karol Chrobok hinein schauen, erkennen
wir als ein Grundthema den Menschen, freilich nicht in realistischer
Darstellung, sondern zum einen konzeptuell als eine immer wieder
verwendbare Ganzfigur, zum anderen als veränderbares Detail im
jeweiligen Sinn der gesamten Komposition. häufig reduziert auf einen
Kopf, zeichenhaft eingeschlossen in ferne Räume. Als Konzept: Wer die
Website von Karl-Karol Chrobok aufschlägt, stößt auf eine Figur in
kniend vorgebeugter Haltung. Der Künstler nennt sie "Zusammengerollter
Mensch". Sie ist auch in den großen Brücken- Figuren aus dem Jahr 2007
wieder zu erkennen. Es liegt nahe, in dieser Figurendarstellung einen
lnhalt wie vielleicht eine demütige Haltung erkennen zu wollen; nur
entspricht das nicht der ldee eines Konzeptes: ln dessen Sinne dient die
Figur primär als Versatzstück, das häufig eingesetzt werden kann, und
dann als eine Bild- Eröffnung. Die ungewöhnliche Haltung wirft Fragen
auf, durch die dieses Motiv sofort bedeutungsvoll erscheint. Weder ein
Akt noch ein Haus, wie es auch immer aussehen mag, löst zu Beginn der
malerischen Aktion bzw. der Betrachtung eine solche Vielfalt von
Assoziationen aus wie diese gebückt kriechende Figur. Und darunter sind
politische Inhalte durchaus möglich. Karl-Karol Chrobok vertieft diese
Vieldeutigkeit nicht. Er führt die Figur nicht zu einem eindeutigen
Inhalt; vielmehr ermöglicht er vieldeutige Auslegungen, die nicht nur
während des malerischen Prozesses, auch bei der Betrachtung - je nach
Stimmung des Betrachtenden - sich laufend verändern können. Jedes Bild
hat auf der Rückseite eine Legende mit den Daten der Bearbeitung, eine
Chronik des Künstlers, wie ich sie noch nie gesehen habe. Da ist der
Prozess angezeigt, der immer neue Deutungen möglich gemacht hat. Der
Künstler wartet den Trocknungsprozess seiner oft pastos aufgetragenen
Ölfarben ab, ehe er eine neue Schicht Farben über das schon Gemalte
setzt; er hat also Zeit, sich den weiteren Arbeitsverlauf und die
entsprechenden Veränderungen zu überlegen, und so ist die angesprochene
Vieldeutigkeit nur eine Konsequenz des aufwändigen Arbeitens.
Tatsächlich entwickeln sich viele Bildabschnitte spontan. Bleiben wir
noch beim Arbeitsprozess: Wir erkennen an vielen Bildern, dass auf der
farbigen Grundfläche, die von späteren Formen und Kompositionselementen
fast völlig zugedeckt wird, aber in den Randzonen der Kompositionen doch
sichtbar bleibt, primär mit Linien gearbeitet worden ist: Interpreten
verweisen gern darauf, dass Karl-Karol Chrobok ursprünglich Zeichner und
Druckgrafiker gewesen ist, Disziplinen, in denen die Linie besondere
Bedeutung hat. Er habe, heißt es, diese Methode des Arbeitens
beibehalten. D.h. also, dass er auch mit dem Pinsel zeichnet, dass er
nicht zuerst gestisch malt, sondern Linien mit relativer Exaktheit
zieht. Die Linie ist für den Betrachter wie ein roter Faden, der sich
durch ein nur langsam entwirrbares Geschehen zieht. Die Linien umreißen
Flächen, und die sind nicht leer. Das Geschehen in den Flächen fügt sich
zu langen Erzählungen, die der Künstler freilich nur anreißt, die der
Betrachter selbst mit lnhalten füllen muss. lnsofern sind die Bilder von
Karl- Karol Chrobok anregend, die eigene Fantasie spazierengehen zu
lassen.
Neben den Menschenbildern gibt es Landschaften,
Städtebilder und Seestücke: Sie beziehen sich selten auf reale Vorbilder
- Bei der Lagunenstadt denken wir natürlich an Venedig; aber die Bauten
in diesem Bild unterstützen dieses Wunschbild nicht. Die Lagunenstadt
bleibt fiktiv. Zu den Landschaften zählt auch die Landschaft mit
Pappeln: Die Rolle, die in anderen Bildern der Kopf oder das Haus
übernommen haben, Fläche für zahlreiche Geschichten zu sein, wird hier
auf die Baumwipfel übertragen, während die Landschaft selbst klar
durchschaubar ist. Freilich gebraucht der Maler einen allgemeineren
Begriff für solche in sich reich differenzierten Motive: Er spricht von
Raum. ln den großflächigen Landschaften' ist der Raum nahezu unbegrenzt,
in den Baumkronen aber dann kleinzellig untergliedert; in den anderen
Kompositionen ziehen die Linien immer neue Grenzen um einzelne Räume.
Dazu zählt auch das Kopfmotiv, das unabhängig vom menschlichen Körper
entstehen kann: Das Kopfmotiv steht letztlich dem Haus-Motiv näher und
damit ist es eine andere Form von Landschafts-Komposition. Beispiel:
Zuweilen erkennen wird gar nicht, dass der Künstler einen Kopf gemalt
hat; wir brauchen Zeit, das Bild in seinem Aufbau zu durchschauen. Wenn
aber Umrißlinien einen Kopf aus den Farbschichten herausheben, sehen
wir, dass das Gesicht in eine Fülle von unterschiedlich großen und
kleinen Zellen aufgelöst wird, also dass hier überhaupt kein visueller
Bezug zu einem Menschenkopf mehr gegeben ist, wenn von der gewohnten
Kopf-Kontur einmal abgesehen wird. Nicht um ein identifizierbares
Gesicht geht es, vielleicht um ein fiktives, aber doch sicher um einen
Kopf voller Eigenleben und Abstand von den Standards: Vielleicht kann
man sagen - es gehe um ein Gesicht als eine Summe von Räumen. Vielleicht
kann man das so auflösen: Das Gesicht ist der Ausdrucksträger des Kopfes
und der Kopf ist der Raum der Gedanken. Und die wiederum setzen sich aus
unzähligen Elementen zusammen. So ist Karl- Karol Chrobok auf die
Kleinzelligkeit gekommen, die die meisten seiner Gemälde bestimmt. Viele
der kleinen Zellen sind Räume, und häufig hat der Künstler ein Motiv in
ihnen gemalt, das den Gedankenfluss fortsetzt. Wiederholt hat der
Künstler Titel gefunden, die diesen permanenten Prozess ansprechen und
die Kraft der Wandlungen dessen, was eben noch fest und sicher schien,
verständlich machen: "Der Magier", Dieser Titel kommt wiederholt vor:
"Kopf Super- Magier XL" 2005, "Magische Köpfe", "Stehender Zauberer",
2005. Andere Bilder greifen fiktive oder reale Momente der Geschichte
auf -"König Darius von Damaskus", manche spielen auf kunsthistorische
Motive an, die für den Künstler einen spezifischen Reiz haben: Die
"Hommage an Max Ernst" greift ein fantastisches Landschaftsmotiv des
Kollegen auf, die "Foret"-Bilder, Waldbilder, deren Undurchdringlíchkeit
und Strukturenvielfalt einen Maler wie Chrobok gereizt hat. Auch Paul
Klee bietet Bilder, die Maler besonders in den fünfziger Jahren angeregt
hatten, und die für Karl Karol Chrobok gleichsam Ausgangspunkt für
weiterführende Expeditionen in das Labyrinth aus Räumen sein konnten.
Der Titel "Hauptweg und Nebenwege", den unser Maler irgendwann einmal
aufgegriffen hatte, bezieht sich auf eine gleichnamiges Bild von Paul
Klee.
Fassen wir zusammen: Unter den Händen von Karl Karol
Chrobok ist ein Oeuvre entstanden, das von erinnerbaren und
seherfahrenen Formen wie Kopf, Haus, Baum, Landschaft ausgeht und ein
Labyrinth aus Zellen und Räumen entwickelt. Insofern sind diese Bilder
auch Sinnbilder für den immer weiter drängenden , immer neue Abenteuer
suchenden menschlichen Geist. Karl Karol Chrobok sucht dabei nach
allgemein gültigen Pfaden mit zeitlosen Zielen.
Jürgen Weichardt,
Mai 2008
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